Reihe Latein kreativ
Allgemeine Informationen zur Lektüre-Reihe
LATEIN KREATIV
Latein kreativ scheint sicherlich manchem - auch innerhalb unseres Fachgebietes - ein Paradoxon zu sein. Sind die lateinische Kultur und Sprache nicht eher rational bestimmt, sachlich, historisch, machtorientiert etc.? Sicherlich ist dies in vielen Fällen so. Daneben aber gibt es überraschend viele lateinische Texte und Werke, die in hohem Maße zu Kreativität einladen. Dies betrifft nicht nur den archetypischen Mythenschatz des Abendlandes, der weitgehend von den Griechen ererbt ist, sondern alle Aspekte lebens- und erlebensbezogener Darstellung.
Der Horizont und der Sinn einer solchen Reihe sollen aber dennoch kurz skizziert werden. Die Reihe „Latein Kreativ“ beginnt nicht zufällig mit Ovids Metamorphosen, sind diese doch die kreativste Lektüre, die das Lateinische zu bieten hat. Ein Meisterstück an Bildhaftigkeit, künstlerischer Perfektion, Lebendigkeit, psychologischer und existentieller Tiefe. Damit bieten die Metamorphosen alle Voraussetzungen, die kreatives Arbeiten benötigt. An Ihnen soll das kreative Konzept im Folgenden erläutert werden.
Der Antike verdankt die Menschheit den Mythos und den Logos. Beides geht auseinander hervor und bleibt stets aufeinander bezogen. Beide bilden ein Geschwisterpaar, vielleicht sogar zweieiige Zwillinge. In der Spannung, die sich aus beidem ergibt, liegt der Bildungswert des Faches Latein (nicht nur im Sinne der „Schulung“, sondern der Persönlichkeitsformung und Entfaltung, früher einmal in durchaus wörtlichem Sinne „Bildung“ genannt).
Pädagogisch und gesellschaftspolitisch gesehen muss der Lateinunterricht dieses Potential entfalten, muss junge Menschen zu logischer Einsicht, aber auch zu mythischer Tiefsicht führen. Die Metamorphosen des Ovid sind das Werk schlechthin, das in idealer Weise beide Aspekte miteinander verbindet. Dem Inhalt (Verwandlungsmythen) und der Form nach (narratives Epos) sind sie dem Mythischen verhaftet, der Dichtkunst und der Reflexion nach (Leserlenkung, Dichttechniken, sozialpolitischer und anthropologischer Gehalt) sind sie dem Logos verpflichtet. Beides gilt es Schülerinnen und Schülern bei der Lektüre zu zeigen.
Bruno Depetris - Pelle di Proteo (Haut des Proteus)
Der kreative Aspekt wird vor allem durch folgende Bereiche angesprochen:
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Kriterium für die Auswahl der aufgenommenen Erzählungen sind deren existentieller Gehalt und die Möglichkeiten der Identifikation für heutige Schüler/innen. Speziell bei den Metamorphosen lassen sich die Lebenshaltung und die Erfahrungen von Daphne, Salmacis, Narcissus, Pygmalion oder Erysichthon direkt auf das Erleben und die Situation heutiger Jugendlicher übertragen.
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Der Einleitungsteil macht bereits auf den existenziellen Gehalt der Lektüre aufmerksam, indem die Unterschiede zwischen göttlicher und menschlicher Lebensweise (als Chiffre für eine bestimmte Lebenshaltung) erläutert werden.
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Die Bilder, die die Rezeptionsgeschichte der Metamorphosen hervorgebracht hat und nach wie vor weltweit hervorbringt, sind bereits in sich Zeugnisse einer künstlerischen Kreativität, die unmittelbar von den Erzählungen Ovids angeregt wurde. Sie verdeutlichen schon an sich das Potential der Lektüre.
Dabei dienen die Bilder nur in seltenen Fällen der reinen Veranschaulichung, nie der bloßen Ausschmückung (Kolorierung). Sie stehen immer in einem engen Bezug zum Text (Veranschaulichung oder Vertiefung bestimmter Aspekte), wobei sie häufig auch die Interpretation begleiten oder mit vorbereiten (Problematisierung, Übertragung etc.). -
Das Kreative ist eng verwandt mit dem Existenziellen und dem Psychologischen. Beides wird von Ovid meisterhaft gestaltet und symbolisch verdichtet. Diese Verdichtung, die die Betroffenheit des Menschen in seinem Inneren bloßlegt, wird bereits während der Lektüre immer wieder angesprochen und bewusstgemacht. Die Interpretation erfolgt also aufbauend schon während der Lektüre und wird jeweils durch übergreifende Aufgaben zum Schluss gebündelt.
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Die Art der Interpretation richtet sich vor allem auf die innerlichen Aspekte der Erzählungen (das „Wesentliche“) und hält sich nicht ausschließlich bei den äußeren Aspekten einer Erzählung auf (Gliederung, Wortfelder, äußere Geschehnisse). Zwar bildet die Textinterpretation den Ausgangspunkt des Erfassens, sie sollte jedoch nur eine Brücke sein zur Wahrnehmung des inneren Gehaltes der Erzählungen.
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Die Formulierung der Aufgaben ist darauf abgestimmt, indem sie die existenziellen Aspekte (die Bedeutung der Vorgänge und das Erleben selbst) in den Vordergrund rückt.
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An geeigneten Stellen werden Vorschläge zur kreativen Bearbeitung gestellt. Immer wieder wird das Sich-Hineindenken in die Entwicklungsperspektiven einer Erzählung gefördert; auf diese Weise werden die vielfältigen Motivstränge zur Sprache gebracht und die Identifikation mit den Figuren wird gefördert.
Dafür ein Beispiel: Liest man die Vier Zeitalter, so kann man die übliche Klassifizierung zur Aufgabe stellen: das Abzählen der Versmengen, das Zusammentragen der Wortfelder und ihre Unterordnung zu Oberbegriffen (wie Recht, Militär, Ackerbau etc.). Zu fragen ist jeweils, was ein Jugendlicher daran lernt, was er mitnehmen kann und in sein eigenes Leben „übersetzen“ kann. Wichtiger erscheint es mir, den Text als Anregung zu nehmen, über die eigene Zeit nachzudenken, deren Charakteristika zu erfassen und den Begriff der Entwicklung (positiv/negativ) für sich zu durchdenken. Hier kann der antike Text Anlass geben zum Nachdenken und zur Diskussion, nicht nur zum Nacherzählen oder gar Nachzählen.
Zum besseren Verständnis sei hier versuchsweise der Begriff „existenziell“ definiert: Das Existenzielle ist all das, was uns Menschen in unserem Erleben, Fühlen und Denken unmittelbar betrifft und „angeht“. Es wird von uns als das eigentlich Wichtige und Wesentliche neben den äußeren Aspekten, den Funktionen der Dinge und den kulturellen Mechanismen des Lebens angesehen. Es ist eng verbunden mit den Tiefenschichten des Seelischen, sowohl individuell als auch kollektiv. Das Existenzielle wird subjektiv erlebt und ist nicht objektivierbar, es wird innerhalb einer Kultur und einer sozialen Gruppe jedoch in ähnlicher Weise wahrgenommen (Zeitgeist, Anpassungsmechanismen).
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Zusammenfassend kann man sagen: Kreative Auseinandersetzung mit lateinischer Lektüre ist keine Spielerei über den Unterricht hinaus, sondern ist eine Notwendigkeit
• in Hinsicht auf die Motivation aller Beteiligten und
• in Hinsicht auf eine adäquate Aufnahme und Würdigung der Lektüre selbst.
Kreative Auseinandersetzung mit der Lektüre bzw. kreative Weiterführung der Lektüre dient
• einer persönlichen Aufnahme der Texte und ihres Gehaltes, somit
• einer vertiefenden Interpretation (Wahrnehmung der existenziellen und symbolischen Bedeutung bestimmter Textstellen oder Werke),
• der intensiveren Auseinandersetzung mit der Lektüre (Adaption oder auch Problematisierung),
• der Förderung einer personen- und erlebnisbezogenen und so Bildung ermöglichenden Unterrichtskultur.
James Cochran - Narcissus
LATEIN KREATIV IN STICHWORTEN
die Reihe bietet ...
• eine hervorragende Bildausstattung, die den Inhalt veranschaulicht und den Charakter der Lektüre unterstreicht, die aber auch zur Auseinandersetzung mit den Motiven und Themen der Lektüre anregt.
• Arbeitsaufgaben, die nicht nur auf äußerliche Beobachtungen abzielen, sondern den Gehalt der Lektüre und ihre existenzielle Bedeutung für heutige Schüler ernst nehmen.
• ein ausgewogenes Verhältnis von Übersetzungsarbeit, Interpretation und kreativer Vertiefung
• separate Anregungen zum Weiterdenken der Lektüre (Verinnerlichung) und spezielle Vorschläge für kreative Arbeitsformen (in Einzel- oder Gruppenarbeit)
• Übersichtlichkeit in der Grundanlage (optische und farbige Unterstützungshilfen)
• einen angemessenen Sublinea-Kommentar mit Hilfen zur Erweiterung und Festigung des Wortschatzes
• umfangreiche Begleithilfen durch einen Einführungsteil (Autor, Werk, Lebenszeit, Intention etc.) und einen Anhang (Wortschatz, Metrik, besondere Erscheinungen, Hilfen zur Bildinterpretation, Lektürehinweise ..)
• Anregungen zur Auseinandersetzung mit der Rezeptionsgeschichte
Speziell zu den Metamorphosen:
• Beachtung des Werk-Charakters der Lektüre (Übersichten zum Gesamtwerk und zu den einzelnen Büchern, übergreifende und rückblickende Aufgaben)
• Hinweise auf Intertextualität (Anspielung und Verfremdung), dadurch Erweiterung des literarischen Horizontes (Erzähltechniken augusteischer Literatur)